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Thomas Gerlach

Libuscha Malerei

Hüllen des Wirklichen

Die Gründung der Gartenstadt Hellerau im Norden Dresdens war einer der ganz wenigen glanzvollen Lichtpunkte, die das vergangene Jahrhundert aufzuweisen hatte: In dem Streben nämlich nach einer glücklichen Verbindung von Fortschrittsgeist und Wirtschaft mit tatsächlicher Menschlichkeit auf höchstem Niveau, lag ein Strahlen, das ganz Europa erhellte. Nur fünf Jahre nach dem verheißungsvollen Auftakt wurde es von groben Stiefeln rücksichtslos zertrampelt. Nach dem Ende des ersten Weltkrieges flammte das Licht noch einmal auf, um unter der anschließenden Barbarenherrschaft nur umso gründlicher zerstört zu werden. Nicht allein das Wirkliche lag nun in Scherben, auch die Hüllen waren zur Unkenntlichkeit zerfetzt. Nur in der Erinnerung Europas glimmt es heut noch hie und da: Ein melancholisch schwaches Leuchten.

In Hellerau selbst gab es in den Nachkriegsjahren zudem noch ein paar glühwürmchenhafte Glutnester, die vereinzelt einen leichten Glanz verbreiteten.

Im Licht eines solchen Glutnestes ist Libuscha aufgewachsen. Es war ein musik- und kunstreiches Licht, das sie und ihre Schwestern auf ihrem Weg ins Leben mit Puppenspiel, Theater und Musik einhüllte.

Ich lernte sie kennen, als sie gerade laufen und also mit uns anderen auf dem Hohen Weg Völkerball spielen konnte.

Wenn ich nun, ein ganzes Leben später, vor ihren Bildern stehe, sehe ich darin auch dieses von tiefer Humanität getragene Licht, das ihre Kindheit bestimmt hatte. Ich sehe den freiheitlichen Geist darin schwingen, der uns alle heimlich getragen hat und heute wieder auf eine Weise bedroht ist, die ich nicht mehr für möglich gehalten hatte. Schließlich sehe ich in den Bildern die Größe der Hoffnung, die Wut der Zerstörung, eben die ganze Zerrissenheit, die ein Menschenleben ausmacht.

Libuscha hat in Meißen gelernt, Porzellan zu bemalen. Sie hat die dreijährige Lehrzeit durchgestanden, obwohl sie schon nach wenigen Wochen wußte, daß sie nicht ein Leben lang die ewiggleichen Muster auf die ewiggleichen Tassen malen würde wollen. Sie brauchte und braucht Raum für sich und ihre Farben, sie brauchte und braucht große Flächen für ihren Schwung und ihre Begeisterung. Denn so viel stand schon früh unumstößlich fest: Sie hatte gemalt, seit sie den Stift halten konnte, und sie würde sich von niemandem davon abbringen lassen. Ihr Durchhaltevermögen ist aus heutiger Sicht beispielgebend – freilich weiß sie auch, daß sie von der Zeichenschule unter Klaus Henker bis heute profitiert: Solides Handwerk hat noch keinem Künstler geschadet.

Bald schon mit Kind versuchte sie in Heiligendamm industrielle Formgestaltung zu studieren. Das war für sie ungefähr so interessant wie die Rübenernte, auch wenn es einzelne Lehrer gab, die ihr Bleibendes zu vermitteln wußten. Schließlich durfte sie sogar eine Fitflasche entwerfen, die möglicherweise sogar heute noch produziert wird. Doch: was ist schon eine Fitflasche gegen ein farbkräftiges Stillleben!

Da ihr auch das verbissenste Durchhaltevermögen nicht den Kindergartenplatz ersetzen konnte, blieb das Studium unvollendet – ja, auch das gabs in der DDR.

Wieder in Dresden erhielt Libuscha zunächst in den Theaterwerkstätten ein Unter- und Auskommen, bevor sie Theatermalerei und speziell Theaterplastik studierte. Schließlich fand sie am Dresdner Puppentheater eine berufliche Heimat. Kurz vor dem Ende der DDR führte sie die Liebe nach Murnau.

Die reizvolle Landschaft des Alpenvorlandes hatte ihr der Vater schon an Hand der Musik von Richard Strauß nahegebracht, so daß sie ihr gleich vertraut erschien. In Künstlerkreisen ist das Städtchen Murnau vor allem durch Gabriele Münter und den Blauen Reiter bekannt geworden. Freilich zeigt nicht nur das Schicksal Ödon von Horvaths, daß das Leben dort auch nicht ganz unproblematisch war. Geist und Ungeist sind anscheinend immer untrennbar verbunden. Unverhüllt ist das Wirkliche manchmal schwer zu ertragen.

Libuscha, die ja nicht der Bananen wegen oder ob des überbordenden Supermarktangebotes in den Westen gegangen war, schaute und schaut mit einiger Skepsis auf den Konsumrausch. Wie einst schon Horaz braucht sie kein Meer, wo ein Krüglein Wasser genügt. In mehreren Bildern hat sie versucht, sich damit auseinanderzusetzen.

Beeindruckt war und ist sie vom ländlichen Brauchtum. Ihm hat sie, wie vor ihr schon Gabriele Münter, die Hinterglasmalerei abgeguckt. In zahlreichen Gemälden und Hinterglasbildern erzählt sie von der alemannischen Fastnacht: voll kräftiger Farbigkeit läßt sie die Welt der Hexen und Teufel mit ihren bunten, meist hölzernen Masken lebendig werden. Anders als im Rheinland oder bei uns hier im biederen Elbland gibt es dort nicht in jedem Jahr neue Themen, neue Masken und Kostüme. Sie werden vielmehr lebenslang getragen und oftmals sogar vererbt.

Libuschas erneute Rückkehr an die Elbe ist auf vielfältige Weise Bild geworden. Großzügige Tuschezeichnungen, angefertigt auf den Spuren der Brücke-Maler, und feine Holzschnitte zeigen Motive der heimatlichen Landschaft. In einem ersten großen Stadtportrait hat sie auch das Schicksal des Vaters verarbeitet, der den Angriff auf Dresden und die Zerstörung der Oper, seiner langjährigen Wirkungsstätte als Musiker, in der Innenstadt hautnah miterlebte. Doch Libuscha klagt nicht an. Die Eltern hatten sie das Denken gelehrt, also weiß sie das Wirkliche von der Hülle zu unterscheiden.

Sind schon ihre Masken und Teufel an Farbkraft kaum zu überbieten, führen ihre Stillleben geradezu in einen Farbenrausch Corinth`scher Prägung. Es ist manchmal fast zu viel, sagt sie selbst. Aber es ist nicht zu viel. Und im Hause Carl Lohses kann es gar nicht zu viel sein. Aus der Fülle ihrer Farben spricht die Begeisterung der Malerin für die Fülle der Früchte, die die Natur auch uns immer wieder bietet: Tomaten, Erd- und Stachelbeeren, Äpfel, Birnen, Pflaumen – einen ganzen Sommer lang könnten wir wie im Paradiese leben. Doch sie sieht auch die Kehrseite: Was uns da in den Supermärkten ohne Rücksicht auf Jahreszeiten oder Wachstumsperioden ins Maul fliegt, wird uns auf Dauer das Paradies zerstören. Erdbeeren zur Weihnacht – muß das wirklich sein?!

Wenn Farbtuben und Pinsel ins Bild hineinragen, so zeigen sie an, daß das Paradies vielleicht gar nicht wahr ist, von alternativen Fakten verdrängt ins Reich der Träume. Eine gemalte Welt ist eine geträumte Welt. Doch auch die Träume sind wichtig, so wichtig wie die Begeisterung für Fülle und Farben.

Dann aber blickt plötzlich die Schwarze Madonna von Altötting mit ihrem Kind aufs Gemüse. Sie ist nicht die einzige, immer wieder erscheint das Madonna-Motiv auf ihren Bildern. Jedes Mal kommt es uns seltsam fehl am Platze vor, wie sich vielleicht die Malerin mit dem Knaben auf dem Arm in der Vorlesung verloren vorkam. Die eigene Betroffenheit wird in dieser Metapher vielleicht am deutlichsten, aber Libuscha bleibt dabei nicht stehen: das Symbol reicht weit übers Persönliche hinaus und wird zur Mahnung: Es gibt nur eine Erde. Wilhelm Großmann sah darin einen Aufruf an uns, das Publikum, uns aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit zu befreien.

Aber natürlich darf und soll jede und jeder selbst sehen. Kunst, meint die Malerin, soll Arbeit für beide, Künstler und Betrachter, sein. Und natürlich dürfen alle teilnehmen an der Freude über die Farbe, an der Begeisterung angesichts der Fülle. Denn auch die Malerin ist immer zuerst begeistert. Es spricht für sie, daß sie die Schatten nicht ausblendet. Die Hüllen, die sie dem Wirklichen anlegt, wollen nichts verschleiern, sie wollen die Schönheit betonen.

Vielleicht war es nach dem geschilderten Lebensweg nicht ganz zu erwarten, daß Libuscha doch auch wieder aufs Porzellan verfallen ist. Freilich bewegt sie sich jetzt auf einem ganz anderen, freieren Terrain, wo sie mit sich und ihren Farben allein ist. Nie wieder wird sie sich auf Serien festlegen lassen, doch sie liebt es inzwischen, mit Formen und Farben zu spielen und Erinnerungen auf Vasen Gestalt zu geben. Nach eigenen Worten gelingt es ihr hier am besten, Wahrnehmung mit fantastischen Vorstellungen zu verbinden, wie es Heinz Werner in dem Dekor 1001 Nacht perfekt gelungen war. Schließlich fasziniert sie der Gedanke, der Farbe durch den Brennprozeß Dauer verleihen zu können und damit selbst ein wenig Anteil zu nehmen an der Ewigkeit.

Libuscha schätzt moderne abstrakte Malerei sehr. Sie ist von deren Möglichkeiten fasziniert. Für sich selbst jedoch mag sie auf Gegenständlichkeit nicht verzichten. In Farbkraft und Aussage läßt ihre Kunst an Expressivität nichts zu wünschen übrig.

Von Hellerau ist sie ausgezogen. Sie hat das dort genossene Licht im Herzen bewahrt und wachsen lassen. mit neuem Strahlen ist sie nach Hellerau zurückgekehrt, und Libuscha wird ihrs beitragen können, den Glanz auch weiter zu bewahren.

IhrWerk ist von der Sorge um das Morgen getragen, es ist nach eigenem Bekenntnis letztlicheine Ode an das Leben.

Thomas Gerlach, Frühjahr 2018

 

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